buchtipp
Ingo Techmeier: Das Verhältnis von Kriminalität und Ökonomie

Kriminalität und Wirtschaft

Studie öffnet Blickwinkel auf wirtschaftliche Prozesse

VON MICHAEL RÖSENER
Schon der amerikanische Präsident Herbert Hoover beklagte sich über die Gier im kapitalistischen Wirtschaftssystem. Unter ähnlichem Vorzeichen hat der Ökonom Ingo Techmeier im Rahmen eines Forschungsprojektes der Universität Münster eine Studie vorgelegt, in der das bisher weitgehend unbekannte Verhältnis von Kriminalität und Wirtschaft analysiert wird.
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Die Arbeit geht so der Frage nach, ob und inwiefern kriminelle Handlungen zum Prozess wirtschaftlicher Dynamik gehören. Techmeier nimmt dabei insbesondere die rechtliche Grauzone zwischen legalen und illegalen Handlungen in den Fokus. Wirtschaftliche Aktivitäten, die sich in diesem Bereich abspielen, werden von Techmeier als Innovationen betrachtet, die beispielsweise aufgrund der Notsituation eines Unternehmens zum Gegenstand wirtschaftlichen Handelns werden. Beispielhaft gilt das für Branchen, in denen die technischen Möglichkeiten von Innovation weitgehend ausgeschöpft sind, oder wenn ein Unternehmen aufgrund der betriebswirtschaftlichen Situation nicht mehr in der Lage ist, bei den legalen Innovationen der Konkurrenz mitzuhalten.
Konkret untersucht Techmeier dieses Verhältnis am Beispiel der Privatisierung ehemals volkseigener DDR Betriebe. Hier gab es nach der Wende diverse, teils damals bereits mit hoher medialer Aufmerksamkeit verfolgte, Fälle von Wirtschaftskriminalität, in denen es um Korruption, Untreue oder Subventionsbetrug ging. Grundlage der Arbeit bilden Interviews mit beteiligten Treuhandmitarbeitern, Staatsanwälten, Richtern, Verteidigern, Unternehmern und in Strafverfahren Angeklagten. Diese beschreiben aus ihren sehr unterschiedlichen Perspektiven strafrechtlich relevante Privatisierungsfälle von DDR Betrieben, wie den um die Treuhandniederlassung in Halle, die von Thyssen übernommene Metallurgiehandel GmbH und zwei vom Bremer Vulkan Verbund übernommene DDR Werften.
Klar wird in diesem Zusammenhang, dass kriminelle Handlungen neben dem Vorsatz der Täter auch durch entsprechende Rahmenbedingungen, wie umbruchbedingte Regulierungsdefizite, begünstigt wurden. So stand die eingesetzte Treuhand unter starkem Druck mit dem Auftrag, das gesamte Anlagevermögen der DDR, immerhin um die 10.000 Betriebe, innerhalb von nur 4 Jahren zu verkaufen und abzuwickeln. Die Situation, dass die Treuhand sich in extrem kurzer Zeit einen Überblick von allen Betrieben verschaffen musste, während Inverstoren nur einen Betrieb im Blick hatten, führte zu Informationsasymmetrien, die es oft erlaubten, die Treuhand in Verhandlungen sprichwörtlich über den Tisch zu ziehen. Dass diese wirtschaftskriminelle Handlungen häufig gar nicht erst erkannte, trug weiter zu den Bedingungen bei, die fast schon eine Einladung für strafrechtlich relevantes Verhalten boten, wie bei Techmeier ein ermittelnder Beamter zitiert wird.
Weitere spannende Punkte der Arbeit sind Einblicke in die Strategien von Strafverteidigern bei Wirtschaftsstrafsachen sowie ein historischer Exkurs, in dem u.a. Ideen wie das moderne Arbeitsethos oder der gegenwärtige Eigentumsbegriff untersucht und in den Zusammenhang der Analyse gestellt werden.Die Arbeit ermöglicht insgesamt einen neuen Blickwinkel auf wirtschaftliche Prozesse und bereichert so die seit der Finanzkrise laufende Kapitalismusdiskussion.

Ingo Techmeier:
Das Verhältnis von Kriminalität und Ökonomie. Eine empirische Studie am Beispiel der Privatisierung ehemaliger DDR Betriebe, Verlag: Springer VS, 347 Seiten, 15.06.2012,
kartoniert, broschiert,210x148x20 mm
ISBN: 978-3-531-19254-3, ab € 39,99 [D].             Das Buch      ....date: 27.01.2013