buchtipp
Paul Auster-Winterjurnal



Selbstgespräch eines Dichters
 


VON MICHAEL RÖSENER


Poetische Autobiograhie von Paul Auster


Paul Auster-Winterjurnal

Der amerikanische Schriftsteller Paul Auster ist vor allem für die von ihm geschriebenen Romane bekannt, obwohl er sich auch als Künstler, Regisseur, Essayist und Übersetzer einen Namen machte. Sein neues Werk ist ein autobiografisches, in dem er versucht das eigene Leben mit den Mitteln der Literatur zu erfassen.

Trotz des autobiografischen Charakters überschreitet Auster die Grenze zwischen Fact und Fiction mit anarchistischer Freude, so dass der Text fast wie ein Roman über das Leben eines namenlosen Hauptcharakters erscheint. Geschickt geht Auster so der Versuchung aus dem Weg, sich selbst als denjenigen zu beschreiben, der die alleinige Definitionshoheit über sein Leben besäße. Immer wahrt der Erzähler eine teils kritische, teils mitfühlende Distanz zum Gegenstand seiner Betrachtung. In der Form eines Selbstgespräches, betrachtet Auster sich selbst von außen, neugierig beobachtend, manchmal rätselnd, analysierend. Das Spiel mit den Rollen Erzähler, Autor, Hauptfigur, die am Ende natürlich alle auf Paul Auster hinauslaufen, ruft Vielschichtigkeit und Facettenreichtum hervor und macht einen besonderen Reiz des Textes aus. In unchronologischer Reihenfolge greift er Momente, Situationen, Begebenheiten seines Lebens heraus und lässt sie mit Liebe zur detaillierten Beschreibung wiederauferstehen, beginnend mit seinen frühesten Kindheitserinnerungen bis hin zur Gegenwart der Tage an denen er im Februar 2011 mit 64 Jahren an seinem Winterjournal arbeitet.

Durchgehender Bezugspunkt und erzählerische Grundlage der Erinnerungen ist der eigene Körper. So finden sich in dem Buch Episoden von einem Unfall beim Baseballspielen in der Jugend, den Lastern des Rauchens und Trinkens, dem Besuch in einem New Yorker und mehreren Pariser Bordellen, ausgefallenen Zähnen, dem psychischen Zusammenbruch vor einem Auslandsaufenthalt, wilden Knutschereien auf Transatlantikflügen, dem Schlafen, dem Gehen, dem Schreiben oder den verstörenden Begegnungen mit dem Tod.

Zwei der auffälligsten Blöcke in dem Text sind die Auflistung aller Aufenthaltsorte Austers sowie der Tod seiner Mutter. Im ersten Fall beschreibt er in genauer Reihenfolge sämtliche Stationen seines Lebens anhand von Mitbewohnern, Wohnungsbeschaffenheiten, Städten - wie in einem Lebenslauf aus Häusern, Wohnungen, Bruchbuden und Apartments. Das andere Mal löst der Tod der Frau, die ihn 1947 im Beth Israel Hospital in Newark zur Welt brachte und deren Asche er 55 Jahre später im Brooklyner Prospect Park verstreute, eine weitschweifende Reflexion über deren widersprüchliche Persönlichkeit als Diva, gewissenhafte Mutter und bisweilen hilflose Neurotikerin aus.

Wir erleben Sätze, die sich gerne mal über mehr als eine Seite ziehen, die sich teilweise luftig leicht wie von selbst lesen lassen, die den Leser aber auch wie ein Betonklotz am Bein weiter und weiter in die Tiefe ziehen können.

Paul Auster legt hier den ersten eines auf zwei Teile angelegten Werkes vor. Ist hier der Körper Dreh- und Angelpunkt der Selbstreflexion, bildet im bereits in Englisch erschienen zweiten Teil das Innenleben den Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung, die nicht minder fesselnd und anregend zu werden verspricht.



Zitat:
Dein Freund Spiegelmann (der leidenschaftlichste Raucher, den du kennst) pflegt auf die Frage, warum er rauche, regelmäßig zu antworten: "Weil ich gern huste".


Paul Auster-Winterjurnal.
Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek, www.rowohlt.de, 19,80 EUR............................ Das Buch.