buchtipp
Unterleuten, von Juli Zeh
Ein Dorf dreht durch
 

REZENSION VON MICHAEL RÖSENER

Der Titel des 2016 erschienen Romans "Unterleuten" von Juli Zeh ist zunächst einmal ein Wortspiel und bezeichnet einerseits ein fiktives Dorf in Brandenburg und andererseits den thematischen Kern der Story, der sich um das außerordentliche Konfliktpotential im menschlichen Zusammenleben dreht.

Juli Zeh,Unterleuten

So werden mit dem übersichtlichen Personal einer Dorfgemeinschaft zahlreiche Konflikte aufgebaut. Diese reichen von innerfamiliären Pärchenstreitigkeiten, Generationenkonflikten, langjährigen Feindschaften der Alteingesessenen Dorfbewohner bis hin zu handfesten Konfrontationen und Auseinandersetzungen um behördliche Genehmigungen. Im zentralen Konflikt, der ab der Mitte des Buches aus den vielen kleinen Streitereien hinausragt und diese gleichzeitig weiter eskalieren lässt, geht es mal wieder um das liebe Geld. Hinzu kommt das oft verständnislose Aufeinandertreffen von jungen Familien aus der Großstadt, die sich mit dem Umzug auf's Land den Traum von einer heilen Welt erhofften, und den im Dorf aufgewachsenen Unterleutenern, die wenig mit Club Mate, Niklas Luhmanns Systemtheorie oder der Programmierung von Browsergames anfangen können. So bleibt, wie zu erwarten, von der Dorfgemeinschaft am Ende nicht viel übrig, außer einer Ansammlung von Individuen, die mal mehr, mal weniger konsequent ihre eigenen Ziele verfolgen. Da wäre z.B. Linda Franzen, die tatkräftige Pferdewirtin, die Ihre Kenntnisse bei der Dressur von Pferden gerne auch bei ihren Mitmenschen anwendet. Zusammen mit ihrem Freund Frederik dem Programmierer ist sie aus Berlin nach Unterleuten gezogen, um dort in Eigenregie einen runtergewirtschafteten Bauernhof zu restaurieren und ein Heim für ihre geliebte Stute Bergamotte einzurichten. Als Ihr unverhofft ein Stück Land zufällt, das für den Bau eines Windkraftparks benötigt wird, wird sie zum Zünglein an der Waage für verschiedene Interessen im Dorf und versucht den so gewonnenen Einfluss gleichzeitig für ihren eigenen Vorteil zu nutzen. Großes Interesse meldet hier beispielsweise der lokale Unternehmer Rudolf Gombrowski an, um dessen Landwirtschaftsfirma es nicht mehr zum Besten steht, und der sich durch den Bau des Windparks einen erneuten Aufschwung seiner Geschäfte erhofft. Zusammen mit seinem Gegenspieler Kron bildet er eine der beiden männlichen Hauptfiguren der Story und löst seine Probleme am liebsten ohne Behörden auf dem direkten Weg, so wie es in Unterleuten unheilvolle Tradition hat. Die nächtliche Verhandlung zwischen Franzen und Gombrowski unter einer Straßenlaterne gehört sicher zu den gelungensten Kapiteln des Buches, weil es Juli Zeh hier hervorragend schafft, ein beschauliches Kammerspiel mit Einleitung, Höhepunkt und Schluss auf engstem Raum einzubauen.
Die Zersplitterung der Gemeinschaft wird stilistisch durch die personale Erzählweise unterstrichen, bei der die einzelnen Kapitel die isolierten Sichtweisen der Protagonisten wiedergeben. Stilistisch kann man sich aber auch auf einige eher gewöhnungsbedürftige Formulierungen einstellen, etwa wenn der Wind bei Juli Zeh nach Informationen sucht, ein Wald rumsteht und schweigt, Leute mit ihrem Körper lächeln oder von einer Armee von Schwalben die Rede ist, wo ein militärischer Verweis in die Geschichte hinein eigentlich keinen Sinn macht und auch nicht unbedingt von einer Grundaggressivität der besprochenen Vögel die Rede sein kann, so wie es der Fall gewesen wäre, hätte die Autorin eine Romanvorlage von Alfred Hitchcocks bekanntem Film geschrieben.
Insgesamt lässt sich das Buch aber schön lesen, besonders wenn es ab der Hälfte Fahrt aufnimmt und man schon ahnt, dass das alles nicht wirklich gut enden wird in einem Dorf, in dem alle komplett durchdrehen, wie Rudolf Gombrowski an einer Stelle einsichtig bemerkt.

Zitat:
"Gombrowski schob die Hände in die Hosentaschen und prüfte mit zurückgelegtem Kopf, ob die Michstraße noch da war."


Autor: Juli Zeh, Titel: Unter Leuten. © Verlagsgruppe Random House GmbH ....... Das Buch.