buchtipp
Hans Magnus Enzensberger: Fortuna und Kalkül




Mathematik und Aberglaube
 



VON MICHAEL RÖSENER


Mathematik und Aberglaube
Hans Magnus Enzensberger, Fortuna und Kalkül

Enzensberger widmet sich der Mathematik Mit zwei kurzen prägnanten Essays hat sich Hans Magnus Enzensberger wieder auf eines seiner Lieblingsthemen, die Mathematik, bezogen. Genauso unterhaltsam wie ernsthaft beschreibt er in den zwei mathematischen Belustigungen, wie es im Untertitel heißt, die Geschichte zahlreicher mathematischer Theorien. In einer kritischen Betrachtung der Wahrscheinlichkeitstheorie legt er dar, wie sich die unvorhersehbaren Bereiche menschlichen Daseins über die Jahrtausende von einer Angelegenheit der Götter hin zu einem Kerngebiet der Mathematiker wandelten. Was sich in alten Zeiten das Schicksal nannte ist heute zum banalen Zufall geworden und wo in der Epoche der Römer noch Fortuna für das Glück der Menschen zuständig war, haben nun die ergebnisorientierten Rechenkünstler der Wahrscheinlichkeitsrechnung ein ergiebiges, wenngleich nicht ganz risikofreies Aufgabengebiet gefunden. Ziel der Aufklärung war es, den altertümlichen Aberglauben zu überwinden. Im Gegenzug etablierte man für die moderne Welt ein mathematisches Denken aus reiner Rationalität.

Dass die Annahme Glück, Unglück und Zufall berechnen zu können stärker auf Sand gebaut ist, als man gemeinhin annehmen würde, zeigt Enzensberger anschaulich und anekdotenreich an zahlreichen Beispielen. So wird auch die aus dem Matheunterricht bekannte Gaußsche Normalverteilung einer grundsätzlichen Betrachtung unterzogen. Dass diese zur statistischen Erfassung von messbaren Größen erdachte Methode zwar regelmäßig einigermaßen genaue Daten liefert, jedoch nie 100%ige Genauigkeit beanspruchen kann, führt Enzensberger auch dem Laien verständlich vor.

Ursprünglich geht die Wahrscheinlichkeitsrechnung auf das Würfelspiel zurück und auch heute scheinen, wie Enzensberger vermutet, Nervenkitzel, Lust am Risiko und Spieltrieb einen gewissen Anteil an dem Versuch zu haben, Fortuna mittels Kalkül auf die Schliche zu kommen. Sei es in der Marktforschung, der Aktienspekulation, der Suche nach dem idealen Lebenspartner oder in der Versicherungsmathematik. In zahlreichen Beispielen zeigt Enzensberger, dass die Wahrscheinlichkeitstheorie zwar in der Lage ist Orientierungen zu geben, sie aber aufgrund ihrer nicht auszuschließenden Fehlerquellen doch eine Form der Zockerei bleibe, und damit dem scheinbar überwundenen Aberglauben näher sei als ihr lieb sein könne.

Folgerichtig führt Enzensberger auch mehrere Mathematiker vor, die letztlich in der Religion keinen wesentlichen Widerspruch zu ihrer eigenen Fachdisziplin erkennen konnten. Im zweiten Teil des Büchleins beschreibt Enzensberger in der unkomplizierten Art eines Aperçus die Zusammenhänge von Mathematik und Metaphysik.

Hans Magnus Enzensberger, Fortuna und Kalkül.
Frankfurt am Main, 2009, Suhrkamp Verlag, www.suhrkamp.de.......................... Das Buch.