buchtipp
Dietmar Daths: Kleine Polizei im Schnee
Leseerlebnis für Entdecker
Neue Kurzprosa von Dietmar Dath.

VON MICHAEL RÖSENER
Das kreative Spektrum des Autors Dietmar Dath ist vielschichtig und umfangreich. Es reicht von politisch-philosophischen Grundsatztexten über Gedichte, Romane, tagesaktuelle Zeitungsartikel, Hörbücher, Essays bis hin zu Übersetzungen und Theaterstücken. Im Herbst letzten Jahres erschien mit "Kleine Polizei im Schnee" ein Band mit Kurzprosa.
Dietmar Daths Kleine Polizei im Schnee


Darin finden sich 44 fiktionale Texte, die teils für sich alleine stehen, teils aber auch zusammen gehören. Zunächst ist jeder der Texte für sich selbst lesbar, jedoch ziehen sich Themen und Figuren durch das gesamte Buch und beziehen sich aufeinander. Dieses in Bruchstücken konstruierte Geflecht entdeckt sich dem Leser erst allmählich, wodurch sich im Laufe der Lektüre zahlreiche Momente der Wiedererkennung und des Auffindens einstellen. Der Leser wird hier zum Sammler und Entdecker, der sich das unwägbare Ganze des Textes für sein eigenes Verständnis aufbrechen muss. Diese Aktivität beim Lesen führt zu zahlreichen Aha-Erlebnissen, kann anfangs aber auch zu Frustration führen, da gerade zu Beginn nur bedingt absehbar ist, in welche Richtung sich eine Handlung, bzw. eine Entwicklung bewegt.

So begegnet man gleich im ersten Text der exzentrischen Künstlerin Dorothee Coppe, die in einer Berliner Kneipe die Anwesenden beschimpft und attackiert. Von ihrer Geschichte, die u.a. in einem längeren zusammenhängenden Text beschrieben wird, und der zu den erzählerischen Höhepunkten des Bandes gehört, erfährt der Leser erst wesentlich später, nachdem er sich durch diverse weitere Handlungsstränge und Szenarien gelesen hat. Es ist die düstere und verstörende Geschichte einer körperlichen und verbalen Misshandlung von Dorothee, die sich durch die ganze Kindheit zieht und deren Ausweg sich für die Betroffene nur in der Kunst und im Bruch mit der Mutter findet.

In anderen Geschichten begegnen dem Leser ein von einer Sekte verfolgter Drehbuchautor, deutsche Soldaten im Auslandseinsatz, Prinzessin Charlene von Monaco, die bei ihrem politischen Selbsterziehungsprozess in der Berliner Vorstadt dem Hausmeister Josef Stasi begegnet oder ein in Ungnade gefallener Priester, der schlussendlich gemeinsam mit dem lieben Gott im Rasen liegt.

Daths Geschichten sind durchzogen von Elementen des Fantasy- und Science Fiction Romans. Er wildert in den Gebieten der Naturwissenschaften, der Philosophie, der Popkultur und des politischen Zeitgeschehens. Mit Gedankenspielen und stilistischer Abwechslung stellt er die Wahrnehmungsgewohnheiten des Lesers immer wieder auf die Probe. Dazu gehören auch die zahlreichen Wortneuschöpfungen, mit denen immer wieder neue Zugänge zu vermeintlich erschlossenen Bereichen ermöglicht werden, etwa, wenn von Flüssigangst, Seitenzeit oder Knochenlicht geschrieben wird. Eine krebskranke Mutter erklärt ihrer Tochter die Krankheit als Missverständnisseuche, um das Gegeneinander gesunder und kranker Zellen zu verdeutlichen.

Insgesamt ist die Lektüre, bei allem Einfallsreichtum des Autors, oft sperrig und rätselhaft. Doch dem kann der kreative Leser etwas entgegensetzen: So anarchistisch, wie Dath mit seinem Stoff umgeht, kann der Leser auch mit diesem Buch umgehen und muss nicht unbedingt bei der ersten Geschichte beginnen, sondern kann sich einen Text in der Mitte oder am Schluss zum Einstieg aussuchen und sich dann kreuz und quer durch den Rest des Buches lesen. Dem ereignisreichen Leseerlebnis wird das nicht schaden.

Zitat:
"Es schmeckte scharf und brachte ihr bei, dass sie Menschen, die nicht sagen oder zeigen konnten, was sie liebten, was sie litten, fürchten musste, weil diese Menschen, wie ihr Vater, mit dem Nichtsprechen das Feld freimachen für diejenigen, die kreischen und brüllen und lügen konnten, wie ihre Mutter."

Dietmar Dath:
Kleine Polizei im Schnee, Verbrecher Verlag, 280 Seiten, 2012
ISBN: 9783943167085, € 24,00 [D] ........................Das Buch                ....date: 22.07.2013