buchtipp
Anna Katharina Hahn, Am Schwarzen Berg
Falsche Idylle
Anna Katharina Hahn seziert in ihrem neuen Roman das harmonische Leben in der Vorstadt.

VON MICHAEL RÖSENER

Die individuelle Definition dessen, was Erfolg und Scheitern bedeuten, ist häufig bestimmt durch die Erwartungen und Maßstäbe des sozialen Umfeldes. Ein Charakter, an dem man das sehr gut beobachten kann, steht im Zentrum von Anna Katharina Hahns zweitem Roman "Am Schwarzen Berg".
Anna Katharina Hahn, Am Schwarzen Berg

Zu Beginn steht die bittere Rückkehr des jungen Familienvaters Peter in das Haus seiner Eltern, das am Rande Stuttgarts liegt. Wie ein verletzter Krieger, der mit Mühe und Not noch hinter die eigenen Linien gerettet wird, kommt der Sohn aus gutbürgerlichem Hause wieder in der Vorstadtidylle seiner Kindheit an und schleppt seine lumpigen Habseligkeiten, seine Mutter im Streit angehend, ins Haus. Es ist ein Bild des Elends, das der Nachbar Emil Bub vom Nachbarbalkon, stellvertretend für den Leser, in Entsetzen beobachtet. Hahn erzählt über den Zeitraum eines Sommers die Geschichte der Verzweiflung des jungen Mannes und die hilflosen Versuche seines Umfeldes, seiner Eltern und das Nachbarehepaares Bub, ihm zu helfen. In zahllosen Rückblenden und Einschüben enthüllt Sie dem Leser allmählich den Hintergrund ihrer Geschichte, wie sich Peters Freundin Mia von ihm trennt und die beiden Söhne mitnimmt, wie Peter in seiner Wohnung bei runter gelassenen Rollläden und laufendem Fernseher verelendet, wie er sich naiv bei den Stuttgart 21 Protesten engagiert und lieber ein fürsorglicher Vater sein will, anstatt Anstalten für eine berufliche Karriere zu machen. Ständig ändern sich die Perspektiven aus denen das Geschehen berichtet wird, so dass der Leser mal die Sicht der Nachbarn, der Eltern oder von Mia einnimmt. Nur Peters eigene Perspektive kommt in dem Roman so gut wie gar nicht vor. Er wird von seinem Umfeld beurteilt, eingeschätzt, kommentiert, umsorgt, bemuttert und gepflegt. Ein Dasein als eigenständig handelnder Charakter ist ihm fast vollständig genommen, so dass er letztendlich nur Objekt und Projektionsfläche seines Umfeldes bleibt. Lediglich im völligen Rückzug und der Verweigerung von Kommunikation besitzt er so etwas wie einen letzten Rest von hilfloser Subjektivität. Die gut gemeinten Versuche, zu helfen, kommen nicht mehr bei dem vermeintlich im Leben gescheiterten an. Dass eben diese Fürsorge ihn am Ende nicht mehr frei atmen lies verstehen weder seine Eltern, noch die Bubs, die den jungen Peter einst quasi als Ersatz für ein eigenes Kind ins Herz geschlossen haben. Die Hilfsbereitschaft, die sie dem erwachsenen Rückkehrer schließlich angedeihen lassen wirkt nur noch absurd und ist gleichzeitig Ausdruck der Tatsache, dass sie ihn unbewusst nicht ernst nehmen.

Wie in einer klassischen Tragödie begrenzt Anna Katharina Hahn den zeitlichen, räumlichen und personellen Rahmen der Geschichte, so dass sich die Handlung wie in einem Mikrokosmos abspielt, deren Fixpunkt der schwäbische Dichter Eduard Mörike ist. In diesem eng abgesteckten Raum lässt sie die Figuren mit ihren Widersprüchen, Ängsten und Lebenslügen aufeinandertreffen, dem Alkoholismus der Bubs, den heimlichen Seitensprüngen und der in Gemeinschaftlichkeit auf gehübschten Ignoranz. Lange konnte man sich Am Schwarzen Berg, wie die Straße der beiden Familien heißt, einer Illusion von Idylle und Harmonie hingeben, doch am Ende des Sommers liegen die Wunden offen - die Konfrontation mit der Wahrheit wird eine eiskalte und niederschmetternde Erfahrung für die gutmenschelnden Vorstadtspießer.

Anna Katharina Hahn: Am Schwarzen Berg, Suhrkamp Verlag, 12.03.2012, 236 Seiten
IBSN 978-3-518-42282-3 EUR 19,95   .................. Das Buch                ....date: 08.12.2012